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Interview Ines Hildur: "Eine Reisende – eine Sammlerin – eine Grenzgängerin zwischen freier und angewandter Kunst"

Was macht den Menschen zum Künstler? Gibt es eine Botschaft in der Kunst? Unterscheidet sich die Kunst vom Leben und wenn ja, wie? Diese Fragen und einige Antworten präsentieren wir in einem Interview mit der Leipziger Künstlerin Ines Hildur. Das Gespräch mit der Künstlerin wird am Sonntag um 18:00 Uhr via Instagram und Facebook live gestreamt. Seien Sie dabei!
AvH: Wer sind Sie, was ist Ihre Geschichte - wie sind Sie zur Künstlerin geworden?

IH: Wer bin ich – ein Mensch mit vielfältigen Facetten. Ich möchte mich da nicht festlegen.

Eine Reisende – eine Sammlerin – eine Grenzgängerin zwischen freier und angewandter Kunst..

„Absichtsloses Wollen“

Vielleicht war der Auslöser ein Bild von Walter Teichert, das ich für den Erlös meiner Haushaltsauflösung in Dresden vor meiner Ausreise in den Westen erwarb. Die Suche nach Walter Teichert und die Beschäftigung mit seiner Kunst führten mich an die Kunsthochschule in Saarbrücken, wo ich mich mit verschiedenen künstlerischen Positionen beschäftigte.

1991 war die Begegnung mit dem Berliner Maler und Filmemacher Strawalde an der renommierten Sommerakademie der Künste in Salzburg ein entscheidender Impuls, mich intensiv der Malerei zu widmen … die erste Einzelausstellung schon 1994 in Saarbrücken … bald auch in Paris, der Stadt, für die mein Herz noch heute besonders schlägt.

Später folgte ich dem Ruf meines Bruders nach Leipzig für ein Architektur-Expo-Projekt. Das war der Beginn meiner Leipziger Zeit. Parallel zu meiner Arbeit im Büro bezog ich ein wunderbar unperfektes Atelier inmitten einer Baustelle – in den Buntgarnwerken.

Aus diesem ungeplanten Umzug wieder nach Sachsen entwickelte sich eine sehr interessante und fruchtbare architekturbezogene Zusammenarbeit mit meinem Bruder (Schwerpunkt Entwurf und Interior Design). Währenddessen entdeckte ich mehr und mehr meine Leidenschaft für die Malerei. Ich verlagerte allmählich meinen beruflichen Schwerpunkt hin zur Kunst mit Ausstellungen im In- und Ausland und startete meine Karriere als Dozentin in der Schweiz im Bereich Freie Malerei. Wieder entfaltete sich vor mir ein neuer wunderbarer Weg, den ich nie hätte planen können.

Ein paar Worte über Ihren „Hintergrund“ - wo sind Sie geboren, aufgewachsen, wie sind Sie dazu gekommen, Künstler zu werden?

Geboren bin ich in Freiberg in Sachsen, der Stadt mit der ältesten montanwissenschaftlichen Universität Deutschlands – aufgewachsen in einem musisch geprägten Elternhaus, in dem ich viel Geborgenheit erfahren habe. Meine Geschwister und ich wurden immer bestärkt in unserem Tun und hatten vielfältige Möglichkeiten zu individueller kreativer Entfaltung.

Mein Großvater – der Maler – inspirierte mich bereits in Kindheitstagen durch seine Malerei, gemeinsames Zeichnen im Streuobstwiesengarten meiner Großeltern im Erzgebirge.

Ich nahm allerdings den Weg über die Architektur. Schon als Kind faszinierte mich Patina und altes Gemäuer und deren modriger Geruch – von der Geschichte und dem Lauf der zeit gezeichnete Häuserwände – und das Matschen …

Ich arbeitete dann als Architektin und Interior Designerin in Dresden, Saarbrücken, Salzburg und Leipzig.

Wie kam ich dann schlussendlich doch zur Kunst?

Aus einer Vielfalt von vorbeschriebenen Einflüssen, Begegnungen, Erlebnissen … genau kann ich es nicht benennen. War es Walter Teichert? War es Strawalde? War es mein Großvater? Meine Eltern? Sicher von allem ein bisschen. Das Leben nimmt seinen Lauf und irgendwann verfestigen sich die Themen – ohne dass es nur eine Linie ist.

Es ist wie ein Gesamtkunstwerk, wo auch Mode, Kochen, Inszenieren von Räumen eine Rolle spielen – die gesamte Lebensart … und Lebenskunst.

Was ist Ihre Vision - und was ist Ihre Botschaft? Warum malen Sie?

„Meine Sehnsucht nach einer ganz eigenen Ästhetik stellt mich immer wieder vor die neue Herausforderung, Bruchstückhaftes zu einer eigentümlich anmutenden Poesie zu verschmelzen, zu einer Schönheit, die Opulenz zulässt, aber auch karg und unbearbeitet bleiben darf – in der Kunst wie im Leben.“

Einer meiner Leitsätze in der Kunst lautet Absichtsloses Wollen.

Von dem französischen Maler Pierre Soulages stammt die Einsicht: Ein Handwerker weiß, was er herstellen möchte, ein Künstler kennt nur den Anfang. Was er sagen will: Der Künstler hat keinen fertigen Plan, die Entfaltung des künstlerischen Tuns speist sich aus der Balance von Intuition und bewusstem Reflektieren. Es können sich Wege, Türen öffnen, ohne zu wissen, wohin sie führen. Dabei gilt, wie es so schön heißt: ohne Umwege lernt man die Umgebung nicht kennen. Die Malerei und den künstlerischen Prozess kann man mit dem Leben vergleichen. Der Erfolg stellt sich dann ein, wenn man auf das Gelingen seines Tuns vertraut und aus jahrelanger Erfahrung und Erkenntnis schöpfen kann.

Stilistisch ordne ich mich dem abstrakten Expressionismus – vielleicht auch etwas dem Informel zu. … einer künstlerischen Haltung, die das klassische Form- und Kompositionsprinzip ebenso ablehnt wie die geometrische Abstraktion“ im „Spannungsfeld von Formauflösung und Formwerdung“ …

Ich experimentiere mit den Mitteln der Malerei, Zeichnung und anderen freien Möglichkeiten: Aus Kohlestaub und Marmormehl, Champagnerkreide, Asche aufgestäubt oder wässrig gebunden, treten ungeahnte Welten zu Tage: mit Linien in Formen gefangen oder den Bildraum frei überschwemmend … Bilder entstehen und entfalten lassen – spielerisch und voller Leichtigkeit.

Ich bevorzuge das quadratische Format.

Die Farbe Schwarz (Bitumenbeimischung) hat eine tragende Rolle – als Gegenpol zu Weiß. Als Grundierung verwendet, bekommen die Bilder Tiefe und Volumen. Wärme und Wärmendes.

In meiner anfänglichen Schaffensphase bestanden meine Malmaterialien hauptsächlich aus gefundenen Erden, Sanden (auf Reisen Gesammeltes in den USA, Italien und in der Provence). Später entdeckte ich für mich eine stark farbige Ausdrucksweise mit Pigmenten und Bindemitteln: heiter licht fröhlich. Ausgelöst durch meine 1. Ausstellung in Paris unter dem Motto Joie (Freude) (2004).

Seit einigen Jahren arbeite ich jedoch wieder im Spektrum der unbunten Farben. Diese Arbeiten strahlen Ruhe, Klarheit und Selbstverständlichkeit aus.

Worum geht es in der Zscheiplitz-Ausstellung? Ein kurzes Essay über die ausgestellten Werke.

Non-Color MEETS Color nuances … : Unbunt trifft Zwischentöne

Entstanden in einer Spanne von über 20 Jahren: Farbiges in Schichten – Patiniertes – bis hin zu einer Klarheit und Kontrasten in Schwarz und Weiß.

Ich erzähle in dieser Ausstellung freie, assoziative Bildgeschichten mit meinem besonderen Gefühl für Rhythmus und subtile Farbklänge: in der Gegenüberstellung von Unbunt und Farbe in Zwischentönen. Das Besondere an dieser Exposition ist jedoch das Zusammenspiel und der besondere Klang mit den figurativen Skulpturen aus gebrauchtem Holz von Matthias Trott sowie den historischen Porträts im Roten Salon. Ein einzigartig neues und zauberhaftes Universum entsteht zudem durch den magischen Ort Kloster Zscheiplitz mit seiner tausendjährigen Geschichte – die Bilder kommunizieren auf vielfältige Weise mit den ursprünglich belassenen Wänden, den raffiniert hinzugefügten Ergänzungen – überraschend und charmant.

Entstanden sind die Bilder nicht nach einem fertigen Plan sondern aus der Entfaltung des künstlerischen Tuns – gespeist aus Intuition und bewusstem Reflektieren.

Wie ich bereits Eingans beschrieben habe, entdecke ich im scheinbar Alltäglichen die besondere Schönheit. Das kann abbröckelnder Putz an einer Häuserwand sein, Moos zwischen gerissenen Betonplatten – Spuren der Vergänglichkeit. Meine Arbeiten strahlen Ruhe, Klarheit, Kraft und Sinnlichkeit aus. Bei der Übertragung in die Begriffe der Sprache bleibt aber immer etwas Unübersetzbares, Rätselhaftes.

Das Prozesshafte der Bildentstehung habe ich bewusst sichtbar stehen gelassen: glatte und pudrige Farbschichten (unter Verwendung von wässrig gebundener Farbe oder auch aufgestäubten Stein- und Kreidemehlen sowie Asche) überlagern sich.

Ein komplexer Entwicklungsprozess in Schichten mit differenzierten Oberflächen und Patina als stofflicher Qualität – der Ausdruck von Wachsen und Vergehen. Eine experimentelle Annäherung an die Vielfalt der Töne – geheimnisvoll und mit Rafinesse komponiert …

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Wir laden Sie nun ein zu einem anregenden und spannenden Dialog – einem Dialog mit den Arbeiten von Ines Hildur und Matthias Trott und lassen Sie sich verzaubern und inspirieren beim Schauen und Entdecken – interessanten Begegnungen und spannenden Gesprächen.
2024-09-05 21:59 Events Gallery